Leseratte.
Das wichtigste an Figuren ist meiner Meinung nach nicht nur, dass sie besonders speziell sind, sondern dass sie natürlich ihrer Erfahrungen nach handeln.
Menschen reagieren auf bestimmte Situationen entsprechend eigener Erfahrungen aus der Vergangenheit, die sie dahingehend geprägt haben. Das können schlechte Erfahrungen sein, die Charaktere verschlossen, aggressiv, schüchtern, ängstlich oder einzelgängerisch machen, aber auch gute Erfahrungen, dank denen Charaktere hoffnungsfroh, hilfsbereit, gerecht oder verständnisvoll wurden.
Das ist natürlich in der Realität auch so: Schüchternheit kann durch Mobbing in der Schule entstanden sein, Unberechenbarkeit durch (im schlimmsten Fall) Misshandlungen, Ängstlichkeit in bestimmten Situationen (z.B. Straßenverkehr) durch einen Unfall et cetera. Wir alle handeln nach dem, was uns widerfahren ist. Das muss beim Schreiben berücksichtigt werden (auch wenn mir diese Erkenntnis auch sehr spät erst gekommen ist ...).
Beim Bauen von Charakteren gehe ich deshalb in letzter Zeit immer so vor, dass ich mir überlege, was ihnen im Leben passiert sein könnte. Da derart verursachte Charakterzüge extrem fadenscheinig im echten Leben sind, sind die Erfahrungen, die ich meinen Charakteren stecke, zumeist sehr extrem, sodass sie auch extreme charakterliche Facetten ausgeprägt haben. Das kann man variieren, wie man möchte, und muss sie auch nicht gleich in tiefstes Unglück stampfen - der Punkt allerdings ist, dass solche Hintergrundgeschichten, dadurch bedingte Charakterzüge und dadurch resultierende Formen von Interaktion mit anderen Personen einen Charakter viel interessanter machen als einen, von dem man nicht einmal weiß, was er vor der Handlung der Geschichte getrieben hat. Der Charakter wird sicherer in deinem Kopf, standfester, weniger formlos und definitiv lebendiger, als wenn man sich gar keine Gedanken über seine Vergangenheit macht.
Mein Tipp also für dich: Bevor du mit deinem Charakter arbeitest, blicke in seine Vergangenheit und sieh nach, was ihn positiv oder auch negativ geprägt hat. Vielleicht kommen da ja noch ein paar neue, interessante Aspekte dazu, die du für deine Geschichte nutzen kannst.
Grüße,
Servi
Kazu