Lesen auch im gleichen Genre, wie sie schreiben?
Stellen Sie sich mich als einen Menschen vor, der Geschichten mag, und zwar beinahe unabhängig von der Form, in der sie erzählt werden. Ich habe viele Bücher, aber auch viele DVDs und gehe gern ins Kino. Ich lasse mir viel mehr Geschichten erzählen (also lese Bücher und schaue Filme), als ich selbst schreibe. Aus diesem "Kontinuum" kommen dann auch meine eigenen Geschichten. Von daher ist naheliegend, wenn auch nicht zwingend, dass ich häufig im gleichen Genre lese, in dem ich auch oft schreibe. Der Akzent ist allerdings verschoben. Ich habe 8 Fantasyromane und 3 Science-Fictionromane veröffentlicht (eventuell 4, je nachdem, wo man meinen Vampirthriller einordnen möchte), lese aber etwa gleich viel Science Fiction und Fantasy.
Gibt es Phasen, indenen sie die halbfertige Geschichte einfach nicht mehr interessiert und sie das ganze Buch einfach langweilig finden? Wenn ja, was machen sie dann?
In dieser extremen Form hatte ich das noch nie. Was mir einige Male passiert ist, war, dass ich zu langsam vorwärts kam. Ich war ja - mit Ausnahme der letzten drei Monate - immer nebenberuflicher Autor, und der Hauptberuf ging natürlich vor, sodass ich manchmal nicht immer so zum Schreiben kam, wie es notwendig gewesen wäre, um mit der Geschichte Schritt zu halten. Denn die Geschichte schreibt sich im Kopf immer weiter, ohne Rücksicht darauf, was der "Tipp-Diener" zu Stande bringt. Dann war im im Kopf schon zwei oder drei Kapitel weiter als in meiner Datei. Infolgedessen war das, was ich gerade tippte, für mich schon "kalter Kaffee" und wenig aufregend.
Meine Lösung war dann immer: Schneller schreiben, um wieder zum (in meinem Kopf) aktuellen Geschehen vorzudringen.
Auf einer anderen Ebene stellt sich die Frage bei der Konzeption der Geschichte, wenn man den Szenenplan anschaut und meint: "Irgendwie ist das langweilig." Das ist aber die normale Konzeptionsarbeit: umstellen, raffen, Spannungsbögen straffen, dramatische Wendungen einbauen.
Diese Frage bezieht sich jetzt eher, auf den Teil, nachem ein Buch angenommen wurde. Was passiert dann? Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen. Bekommt man einen Lektorat zugeteilt? Wie steht es mit der Kommunikation mit dem Verlag? Mit wem arbeitet man alles?
Den Lektor hat man bereits vorher, das ist nämlich derjenige, der das vorgeschlagene Projekt prüft. Dazu hat er das Exposé und die Leseprobe. Wenn ihm das gefällt, ruft er Sie an und fragt Sie, ob Sie mit einigen Änderungen einverstanden wären, die seiner Meinung nach den Stoff verbessern würden oder notwendig wären, um das Buch im Verlagsprogramm zu platzieren. Sie nicken zustimmend (Lektoren können das durch die Telefonleitung hindurch sehen) und versichern, dass Sie ähnliche Änderungen ohnehin im Sinn hatten und selbstverständlich dankbar für die Vorschläge sind und das geänderte Exposé binnen Wochenfrist schicken werden. Das wiederholt sich so lange, bis der Lektor zufrieden ist.
Ab diesem Zeitpunkt ist der Lektor Ihr Verbündeter im Verlag. Er geht zunächst, bewaffnet mit ihrem überarbeiteten Exposé und einem Dutzend Argumenten, warum Sie die Autorin der Zukunft sind, in die Abteilungssitzung (in einem Großverlag gibt es eine Abteilung für fantastische Romane, eine für Romantik, eine für Erotik, etc.). In dieser Abteilungssitzung preist er Ihr Werk an und setzt es gegen die anderen Werke durch, die auch einen Programmplatz haben wollen. Wenn er das nicht schafft, wird er sie mit Tränen in den Augen anrufen (diese Tränen kann wiederum ein Autor durch die Telefonleitung hindurch glitzern sehen) und teilt Ihnen mit, dass es leider nichts wird mit dem Buch.
Im positiven Fall klappt es aber, dann kommt es zu den Vertragsverhandlungen. Vielleicht gibt es noch letzte Änderungswünsche am Exposé, primär geht es nun aber um Abgabetermin und Konditionen. Hier schlägt auch noch einmal die Stunde des Literaturagenten, falls Sie einen haben. War er vorher "Mr. Nice Guy", der den Lektoren die Drinks bezahlt und von der Sanftmut seiner Autorin geschwärmt hat, ähnelt er nun einem üblen Typen aus einem Chicago-Gangster-Thriller, erklärt dem Verlag, dass es ein purer Gnadenakt ist, dass Sie sich mit diesem Haus einlassen und dass die Konditionen besser üppig ausfallen, damit man Sie nicht sogleich wieder an eine der zahlreichen Alternativen verliert, die sich Ihnen selbstverständlich bieten.
Sie unterschreiben.
Das Exposé wird final von Ihnen und dem Lektor abgesegnet. Virtuell schneiden Sie sich gegenseitig die Pulsadern auf und unterschreiben mit Ihrem Blut.
Ihnen wird ein Redakteur zugewiesen. Dieser ist manchmal fest im Verlag angestellt, manchmal auch ein Selbständiger, der pro Buch beauftragt und bezahlt wird. Der Redakteur ist so etwas wie ein Seelenklempner für Autorinnen und Autoren. Sie rufen ihn an, wenn Sie schlecht geschlafen haben, der Kaffee nicht schmeckt oder - und insbesondere - wenn Sie eine Schreibblockade haben oder feststellen, dass irgend etwas an der Geschichte nicht klappen will. Eigentlich bezahlt wird er allerdings dafür, dass er mit Ihnen gemeinsam am Text arbeitet. Das heißt: Wenn Sie ihn nicht mehr besser hinkriegen, schicken Sie ihn an den Redakteur. Oft schicken Sie eine inhaltlich fertige Fassung zu einem "Vorlektorat". Dann weiß der Redakteur, dass sich an der Sprache noch einiges ändern kann, und prüft nur auf Spannungsbogen etc. Seine Anmerkungen arbeiten Sie ein, lassen den Text etwas liegen (beim Vertragsabschluss haben Sie selbstverständlich darauf geachtet, einen Termin zu vereinbaren, der soweit in der Zukunft liegt, dass Sie dafür Luft haben) und machen die sprachliche Überarbeitung, bis Sie den Text nicht mehr besser hinbekommen. Dann geben Sie ihn dem Redakteur zum eigentlichen Lektorat (wird manchmal auch "Redaktion" genannt). Eine Woche später bekommen Sie den Text zurück. Er ist blutrot, weil er voller Anmerkungen ist. Sie "verbinden die Wunden", verbessern also die angemerkten Stellen. Bei einigen, wenigen, handverlesenen Stellen halten Sie sich für schlauer als den Rest der Welt und die Leute, die schon seit Jahrzehnten Bücher machen, lassen Ihre ursprüngliche Formulierung stehen und notieren am Rand, warum es genau so bleiben muss und Sie auf der Stelle sterben werden, wenn es geändert werden sollte.
Dann schicken Sie den Text zurück an den Redakteur.
Der sieht sich an, was Sie damit gemacht haben, und kommentiert erneut. Da Sie gewissenhaft gearbeitet haben, findet er diesmal deutlich weniger als beim vorigen Durchgang. In dieser Version findet sich nun also deutlich weniger Rot als zuvor.
So geht der Text hin und her, bis Sie und der Redakteur vor der Aufgabe kapitulieren, ihn noch besser zu machen.
Der Lektor ist derweil nach wie vor Ihr Mann im Verlag. Er hat inzwischen die Künstleragentur angehauen und einen Vorschlag für ein Titelbild organisiert, den er mit Ihnen durchspricht. Außerdem hat er mit Ihnen gemeinsam die Werbetexte besprochen und dann mitgenommen zur Marketingabteilung. Da etwa die Hälfte der vorgeschlagenen Formulierungen übernommen wurde, gönnen Sie sich beide ein Gläschen Sekt. Leicht beschwipst geht der Lektor dann in die Vertreterkonferenz und preist Ihr Werk (das inzwischen sicherlich schon halb geschrieben sein wird) in den höchsten Tönen. Entsprechend aufmunitioniert strömen die Verlagsvertreter in den Buchhandel, die Buchhändler bestellen fleißig anhand des Verlagskatalogs, in dem Ihr Buch inzwischen mit Bild und Werbetexten angekündigt ist. Entsprechend dieser Vorbestellzahlen wird auch die Auflagenhöhe festgelegt und der Druckauftrag erteilt.
In dem Druckauftrag steht: "soundsoviel Bücher mit jeweils soundsoviel Seiten an dem und dem Termin drucken."
Aus diesem Grunde sollten Sie unbedingt mit dem Redakteur so gut zusammenarbeiten, dass Sie zum Termin und im geplanten Umfang abgeben. Wenn das nämlich nicht klappt, wird der Verlag gegenüber der Druckerei vertragsbrüchig und das wird teuer für den Verlag. Mit anderen Worten: Es passiert nicht. Wenn es doch einmal passieren sollte, müssen Sie das Lektor und Redakteur so früh wie möglich mitteilen. Aber das ist ein Horror-Szenario. Besser, im Vertrag den Abgabetermin entsprechend spät festlegen, auch wenn dann das Buch natürlich auch spät erscheint.
Also: Sie und der Redakteur sind fertig mit Nerven und Text, der Buchhandel wartet eifrig, die Druckerei auch. Sprich: Sie geben den Text ab. Er geht zum Setzer. Sie bekommen die Umbruchfahne, das ist eine PDF-Datei, die schon beinahe so aussieht wie das fertige Buch. Diese Umbruchfahne sehen Sie durch. Glücklicherweise fällt Ihnen gerade noch der Tippfehler auf Seite 1 ins Auge. Außerdem achten Sie besonders auf die Worttrennungen, da Sie vorher natürlich mit Normseiten gearbeitet haben, da gab es noch keine Trennungen. Gerade in der Fantasy gibt es Fachbegriffe, an denen die automatische Silbentrennung scheitert. Sie markieren auf der Umbruchfahne alle Änderungswünsche. Auch minimale Änderungen wie die Eliminierung von Wortwiederholungen sind statthaft.
Gleichzeitig mit Ihnen schaut auch der Korrektor durch die Umbruchfahne. Der Korrektor sprach schon als Säugling in grammatikalisch korrekten Sätzen mit tadellos akzentuierter Interpunktion und ist in solchen Internet-Foren aktiv, die Titel tragen wie "Deutsch - die Zukunft einer Sprache" oder "Perlen für Apostroph-Freunde". Logikfehler sind ihm Wumpe, er jagt Tippfehler. Da er auch nur ein Mensch ist, findet er allerdings auch nicht 100%. Ich selbst finde übrigens mittlerweile etwa 75%, das heißt: Wenn ich in einem meiner eigenen Korrekturdurchgänge 300 Fehler finde, habe ich noch 100 übersehen, von denen ich beim nächsten Mal 75 finde, sodass noch 25 drin sind und beim nächsten Durchgang finde ich davon vielleicht 18 etc. Der Korrektor findet also 95%, aber nicht 100%. Deswegen achten Sie beim Durchsehen der Umbruchfahne auch auf Tippfehler und finden hoffentlich den einen, den der Korrektor übesehen wird.
Ihre Änderungswünsche schicken Sie an den Verlag, dort werden sie mit denen des Korrektors zusammengeführt und eingearbeitet.
Das Werk geht in Druck.
Bei den Onlinehändlern ist es schon lange gelistet. Mehr oder minder gleichzeitig mit dem Eintreffen Ihrer Belegexemplare springt es auf "lieferbar".
Die Marketingabteilung des Verlags ruft Sie an. Haben Sie Lust, ein kurzes Video zu drehen und etwas über Ihr Buch zu erzählen? Wollen Sie ein Interview geben? Lesungen machen? An einer Internet-Leserunde teilnehmen?
Ihnen schwirrt der Kopf. Die letzten Monate waren von der Arbeit am Text beherrscht, jetzt fallen Sie in ein Loch. Hat Ihr Leben noch einen Sinn? Ihr Lektor meint: Ja, klar. Und fragt Sie, was für weitere Ideen Sie auf der Pfanne haben. Außerdem bespricht er mit Ihnen, wie Sie mit den Anfragen der Marketingabteilung umgehen wollen. Denn, ob Sie es glauben oder nicht: Der Lektor ist in den vergangenen Monaten zu einem echten Verbündeten geworden.
Irgendwann kommen die ersten Online-Kritiken zu Ihrem Buch. Schade, nur ein Stern. Sie gehen in den Keller und weinen. Als Sie wieder vor dem Computer sitzen, sehen Sie, dass ein anderer Leser Ihnen die volle Punktzahl gegeben hat. Der Tag ist gerettet, Sie gehen mit Krawatte ins Bett.
Tut mir leid... einen schritt zurück Wie genau war das Gefühl, als sie die Zusage zu ihrem ersten Roman bekommen haben?
Die Umstände waren sehr speziell. Ich kannte den Verleger, er kam aus dem literarischen Underground in Köln, in dem ich damals auch aktiv war. Er war angetan von dieser Szene, in der es viele Lesungen in Hinterzimmern von Cafés gab, und der Meinung, die Leute sollten auch veröffentlicht werden. Deswegen gründete er seinen eigenen Mikro-Verlag, den van-Aaken-Verlag, und brachte Anthologien heraus. Ich reichte für die erste Anthologie eine Kurzgeschichte ein, ging auf meine Weltreise (2004) und bekam bei meiner Rückkehr die Anthologie in die Hand gedrückt mit der Anfrage, ob ich nicht einen Roman hätte, der dann der erste in dem kleinen Verlag werden sollte. Ich war, wie man sich denken kann, geehrt und ein bisschen gerührt.
Inzwischen hat der van-Aaken-Verlag seine Pforten wieder geschlossen, aber mein Erstling wird wohl immer einen besonderen Platz bei mir haben.