Nachdem ich mich mit meiner Agentin darüber unterhalten habe und gerade einen sehr interessanten Blogartikel einer amerikanischen Agentin gelesen habe, mache ich jetzt einen Thread auf zu einem Thema, das sicher schon dem einen oder anderen von euch im Kopf herumgespukt ist: In jungen Jahren ein Buch veröffentlichen und als Wunderkind gefeiert werden. Ich bin jetzt natürlich aus dem Alter raus mit Mitte Dreißig, aber als ich fünfzehn, sechzehn war und meine ersten drei Novellen fertig hatte, die zusammengenommen tatsächlich so lang wie ein Roman waren, wollte ich mich damit unbedingt bei Verlagen bewerben.
Meine Theorie war damals folgende: Ich bin ja die einzige schreibende Jugendliche weit und breit, es ist also was ganz was besonderes, was ich da zu Papier gebracht haben, und die ganze Welt will sehen, was für großartige junge Talente es gibt, also mich. Heute weiß ich natürlich, dass ich mitnichten die einzige schreibende Fünfzehnhjährige war, aber selbst wenn, ich hatte ja schon von genug Lehrern gehört, dass ich sprachlich meinen Altersgenossen weit voraus war, warum also nicht bei den Verlagen bewerben? Letztlich habe ich mich einfach nicht getraut, weil ich fürchtete, mit Ablehnung nicht zurechtzukommen. Aber der Slogan "Wenn ich groß bin, werde ich Wunderkind" verfolgt mich seitdem.
Jetzt, zwanzig Jahre später, bin ich froh, es nicht versucht zu haben - selbst wenn man mich veröffentlicht hätte. Ja, ich war damals schon gut, aber ich habe seitdem so entsetzlich viel dazugelernt, dass ich es schrecklich fände, immerzu mit meinen alten Kamellen assoziiert zu werden. Denn das ist der Nachteil von Wunderkindern: Ob als Sänger, Schauspieler oder auch Autoren, irgendwann werden sie erwachsen, wollen kein Wunderkind mehr sein, sondern ernstgenommen werden, und dann ist so eine Vergangenheit eher hinderlich. Und rechnet man die Jugendzeit mal mit zwanzig Jahren, hat man danach noch sechzig weitere, um richtig durchzustarten. Niemand hat es nötig, Wunderkind zu werden, wenn er sowieso gut ist.
In dem
Blogartikel, den ich gerade gelesen habe, heißt es (Übersetzung von mir)
Ich hasse es, wenn ein ein Autor sein Alter in die Bewerbung schreibt. Insbesondere hasse ich das, wenn der Autor jung ist. Da kommt nichts gutes bei raus. Agenten suchen nicht nach "jung", sie suchen nach guten Projekten.
Dein Projekt muss in sich selbst gut sein. Und es ist möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass dein Projekt wegen deines Alters abgelehnt wird. Es gibt natürlich auch viele junge veröffentliche Autoren. Diejenige, die ich am besten kenne (Kody Keplinger) hat ihr Alter in ihrer Bewerbung nicht angegeben.
Ich bin zu nahezu 100% sicher, dass ich ein Projekt ablehne, wenn der Bewerber zu jung ist. [...] Ich möchte nicht Kindern mein Haifisch-Selbst aufzwingen. Ich weiß, du denkst von dir selbst nicht als Kind, aber ich tue das. Es ist noch genug Zeit für dich, die Brutalität der Welt zu erleben. College, zum Beispiel.
Darum pass auf, dass ich mich nur deswegen nicht in dein Werk verliebe, weil du mit deinem Alter angefangen hast.
Dies bezieht sich nur auf Jugendliche, die fast erwachsen sind, 16 oder 17. Wenn du unter s16 bist, sag es mir bitte. Unter-Sechzehnjährige bekommen bei mir keine Formabsage. Ich sage ab, aber immer mit ein paar aufmunternden Worten.
Das deckt sich mit dem, was meine Agenten sagen. Sie lehnen Bewerbungen von Minderjährigen (und den meisten unter 20) grundsätzlich ab, nicht weil sie finden, dass die unbedingt zu schlecht sein müssen, aber weil sie denken, dass die ein paar Jahre später viel besser sind und nicht ihr ganzes Leben lang beschämt auf ihre Jugendsünden festgenagelt werden möchten. Sie finden, die Jugend ist die Zeit, um alles auszuprobieren und, wenn es sein muss, falsch zu machen, ohne hinterher immer wieder daran erinnert werden zu müssen. Die Agentur sucht nicht nach dem nächsten Wunderkind, sondern nach beständigen Autoren, die über viele Jahre produktiv sein sollen.
Es gibt immer Ausnahmen, und ich will niemandem pauschal davon abraten, es zu versuchen. Aber man darf nie vergessen, dass es eine Sache ist, ein gutes Buch zu schreiben, und eine andere, Absage um Absage zu kassieren, oder auf Amazon ein Ein-Stern-Rezensionnen verrissen zu werden. Die Sachen, die weh tun, sollte man sich immer für später aufsparen. Meine ersten Bewerbungen habe ich mit vierundzwanzig rausgeschickt. Da ahnte ich, dass meine Wunderkindzeit so gut wie abgelaufen war, und wollte es zumindest einmal versucht haben, immerhin hatte ich in der Zwischenzeit einen richtigen Roman geschrieben. Der ist natürlich auch nicht genommen worden. Aber als meine Agentur vorletztes Jahr gefragt hat, ob sie ihn jetzt nochmal anbieten sollen - was habe ich das wild von mir gewiesen! Das Buch ist wirklich gut für meine damals 23 Jahre. Aber ich bin heidenfroh, dass es nicht das Buch sein wird, mit dem ich groß herauskomme - denn dafür ist es mir heute einfach nicht mehr gut genug.
Ich weiß, Geduld ist etwas schweres, und wenn man 15 ist, fällt es einem sehr schwer, sich auch nur vorzustellen, eines Tages 25 zu sein oder gar noch älter. Trotzdem, es lohnt sich zu warten. Dann ist man vielleicht kein Wunderkind mehr, aber so gut, dass niemand mehr das Alter des Autors als Vergleichsbasis heranziehen muss: Nicht mehr "Sehr gut für fünfzehn Jahre", sondern einfasch nur noch "Sehr gut". Und ist es nicht das, was wir alle wollen?