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Autor Thema: Co-Protagonist drängelt nach vorn  (Gelesen 11931 mal)

Offline KaZuko

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Co-Protagonist drängelt nach vorn
« am: 01. Mai 2016, 19:54:36 »
Hallo ihr Lieben,

mir stellt sich seit ein paar Tagen ein Problem in den Weg, zu dem ich gerne ein paar Meinungen einholen würde. Es geht um meine zwei aktuellen Protagonisten, Alekda und Matts - nun, genauer gesagt geht es vor allem um Matts.

Die Sachlage ist folgende: Alekda ist die tragende Protagonistin in diesem Manuskript, um deren Werdegang als Gestaltwandlerin sich alles dreht. Sie hat deshalb die Ich-Perspektive bekommen. Zum einen, weil ich die auch schon im ersten Band für die Hauptfigur benutzt habe, und zum anderen, weil es aus meiner Sicht besser passt. (Alekdas Persönlichkeit spaltet sich nämlich im Lauf der Handlung auf, was eine Sie-Perspektive sehr schwer machen würde.)
Ihr Co-Protagonist ist Matts, ihr Therapeut, aus dessen Er-Perspektive hier und da erzählt wird.

Nun, dieses 'hier und da' ist während der letzten Abschnitte ein wenig mehr geworden. Mit ist aufgefallen, dass mir die Passagen aus Matts' Sicht leichter fallen. Außerdem kommen mir sehr viele Szenen durch seine Augen viel lebendiger und emotionaler vor, einfach weil er auf vieles eine hinterfragendere Sichtweise als Alekda hat. Auch bei Situationen, die für sie eine tragendere Rolle spielen. Wenn er sie in einer solchen Situation beobachtet, kommt es mir spannender vor, als Alekda sie selbst durchleben zu lassen. Das ist vor allem in der Szene, in der ich gerade stecke, irgendwie doof.

Meine konkrete Frage ist jetzt also:
1. Ist es bei einem Manuskript mit einer Ich- und einer Er-Perspektive unbedingt notwendig, dass die Ich-Perspektive den größten Teil einnimmt?
2. Ist es vertretbar, bedeutende Momente eines Charakters aus den Augen eines anderen zu schildern und erst im Nachhinein in den eigentlichen Charakter zu schlüpfen, um auf die Folgen einzugehen?

Was meint ihr dazu? Ich bin gespannt. :)

Liebe Grüße,
Kazu
Und meine Seele spannte ihre Flügel aus. -  Joseph von Eichendorff

Offline Darkness Claw

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Re: Co-Protagonist drängelt nach vorn
« Antwort #1 am: 01. Mai 2016, 21:16:03 »
Hi Kazu,

ich kann dir zwar aus eigener Erfahrung keine Ratschläge geben, da ich bisher noch nichts längeres aus der Ich-Perspektive geschrieben habe, doch ich hoffe, ich kann dir trotzdem ein wenig weiterhelfen.

Als aller erstes muss ich sagen, finde ich diese Entwicklung, dass Matts mehr Seiten als der Protagonist füllt, nicht unbedingt schlimm. Wenn ich es richtig verstanden habe, so sind die Szenen, in denen er der Protagonist ist, ja nach wie vor vor allem Momente, während denen er mit Alekda interargiert. Dementsprechend wird das Rampenlicht ja nicht von der eigentlichen Protagonistin genommen, sondern lediglich von einer anderen, subjektiven Perspektive betrachtet, der ihre Handlungen eben aus seiner Sicht kommentiert.
Auch wenn sich das bei dir eher ungewollt eingeschlichen hat, kann man damit ja auch bewusst spielen und dabei die Erzählweise bereichern.
Genauso denke ich auch, dass es nicht etwa die Spannung aus den Szenen nimmt, wenn sie aus Matts Perspektive geschrieben sind und erst anschließend aus Alekdas Sicht geschildert wird, ganz im Gegenteil, es kann mit Sicherheit ein hervorragendes Stilmittel sein.

Auf der anderen Seite solltest du allerdings aufpassen, dass du Alekdas Geschichte dabei nicht aus der Hand gibst. Sollte das Zusammenspiel dieser beiden Charaktere sich durch das gesamte Manuskript ziehen, könnte es eventuell antiklimatisch sein, wenn Alekda über die ganze Zeit hinweg Matts untergeordnet ist. Wenn Matts nicht die ganze Zeit vorkommen soll, sehe ich da kein Problem, doch sollte er es doch, so müsste Alekda sich mit Kurs auf den Höhepunkt doch etwas Raum verschaffen können.
Und natürlich sollte der Leser nicht anfangen, sich von Matts zu sehr ablenken zu lassen und dabei Alekda aus den Augen zu verlieren. Wenn du jedoch nicht ständig von Matts' Leben außerhalb seiner Arbeit mit Alekda erzählst und ihm, so blöd das klingen magst, nicht zu viel charakterliche Tiefe im Vergleich zu Alekda gibst, sehe ich kein Problem, wenn seine Erzählperspektive häufiger eingesetzt wird.

Ich hoffe, ich konnte dir ein wenig weiterhelfen.  :)

Viele Grüße,
Claw
"Enœn sea. Ne nagasto Gelisdan."

Offline KaZuko

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Re: Co-Protagonist drängelt nach vorn
« Antwort #2 am: 02. Mai 2016, 17:38:24 »
Claw, das ist eine wirklich tolle Antwort. Vor allem im zweiten größeren Absatz steckt so viel Wahrheit und Logik ... Wenn man sowas liest, fragt man sich direkt, warum man selbst nicht darauf gekommen ist? Was du sagst, ist wirklich clever! Danke! Ich werde es definitiv berücksichtigen! :)

Liebe Grüße,
Kazu
Und meine Seele spannte ihre Flügel aus. -  Joseph von Eichendorff

Offline Thiod

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Re: Co-Protagonist drängelt nach vorn
« Antwort #3 am: 02. Mai 2016, 17:39:39 »
So wie du es beschrieben hast, klingt es, als wenn die Gründe für Matts-Perspektiv sinnvoll und bereichernd sind, daher denke ich, dass es ganz legitim ist, Alekta häufiger aus seiner Sicht zu beschreiben. Außenperspektiven können oft sehr stark sein. Es könnte höchstens seltsam wirken, wenn sich das Gewicht der beiden Erzählperspektiven innerhalb des Romanverlaufs zu stark verschiebt - dann würde man sich als Leser wohl anfangen zu wundern, weshalb am Anfang alles Ich-Erzähler ist und am Ende Er-Erzähler, man könnte da dann unter Umständen Bedeutungen in den Perspektivwechsel deuten, die überinterpretiert wären. Aber so lange du im Verlauf der Geschichte die Anteile nicht ZU stark verschiebst, sollte es kein Problem sein, denke ich.

Habe jetzt vll. nicht so viel beigetragen, dass Claw nicht auch irgendwie auch schon ausgedrückt hat, sorry.

Viele Grüße,
Thiod.
Wissen ist Macht - Phantasie ist Freiheit

Offline Darkness Claw

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Re: Co-Protagonist drängelt nach vorn
« Antwort #4 am: 02. Mai 2016, 21:29:16 »
Freut mich wirklich sehr, dass dir meine Antwort geholfen hat, Kazu.  :) Ich hatte schon befürchtet, ich wäre nicht so ganz auf den Punkt gekommen.

Die Sache mit dem Gewicht der Erzählperspektiven, die Thiod noch hinzugefügt hat, halte ich auch für wichtig. Wenn Matts in der Mitte des Manuskripts bereits jedes zweite statt jedes sechste Kapitel für sich beanspruchen würde, könnte das durchaus verwirrend auf den Leser wirken und ihn in eine falsche Richtung führen.

Viele Grüße,
Claw
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Offline KaZuko

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Re: Co-Protagonist drängelt nach vorn
« Antwort #5 am: 05. Mai 2016, 12:09:20 »
Alle eure Tipps sind wichtig und hilfreich. Es wäre wirklich gut, wenn ich es schaffe, sie umzusetzen. Leider fäng es schon an, dass Matts' Perspektive sich viel öfter einschleicht als am Anfang. Eben weil mir das aufgefallen ist, habe ich ja den Thread eröffnet. Ich werde versuchen, Alekda häufiger ins Ramenlicht zu ziehen. Auch wenn Matts sich teilweise besser anbietet (und auch besser anstellt), ist es immer noch ihre Geschichte. Es geht um ihre Veränderung, physisch wie psychisch. Das muss ich mir wohl einfach wieder ins Gedächtnis rufen.

Danke für eure Hilfe! :)

Liebe Grüße,
Kazu
Und meine Seele spannte ihre Flügel aus. -  Joseph von Eichendorff

Offline Jakob

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Re: Co-Protagonist drängelt nach vorn
« Antwort #6 am: 22. Mai 2016, 18:29:31 »
Hayho, Phantas!  :)
Zuerst mal: Grundsätzlich musst du gar nichts. Oft hat man als Autor diese festgelegten Normen in seinem Kopf wie: „Ich brauche eine Liebesgeschichte in meinem Buch, jeder gute Roman hat eine." Allerdings muss man sich immer wieder vor Augen halten, dass du allein bestimmen kannst, worüber es in deinem Werk geht und wie alles dargestellt wird.
Soll heißen: Solange du so mit deiner Geschichte zufrieden bist und es selbst für richtig hältst: Wer soll dich daran hindern, in einem Roman mehr in der Er- als in der Ich-Perspektive zu schreiben?
Ich persönlich fände dies nicht schlimm zu lesen. Das schafft nämlich mehr Vielfalt und macht das Buch, wenn man es richtig anstellt, vielleicht sogar noch interessanter. Denn mit beiden Perspektiven kannst du das Beste aus jeder Szene holen und schauen, wo sich vielleicht eine persönliche, direkte Sichtweise und wo eher eine distanziertere, hinterfragende anbietet.
Und bevor du irgendetwas an den Haaren herbeiziehst und einige Szenen vielleicht „unnatürlich" rüberkommen, schriebe ich auf jeden Fall so, wie es für mich am besten klappt.

Das Ganze gilt natürlich nur soweit, wie es auch die Handlung voranträgt und das zeigt, was du möchtest.
Lässt es sich denn irgendwie mit dem Plot vereinen, dass immer mehr aus Matts' Sicht geschrieben wird? Rückt er vielleicht immer mehr in Alekdas Leben?
Denn wie Thiod schon gesagt hat, könnte unter Umständen wirklich dazu kommen, dass man zu viel hineininterpretiert.

Dass ihre Veränderung im Mittelpunkt steht, könnte sogar durch Matts' Sicht unterstützt werden. Er als Therapeut kann ihre psychischen Veränderungen sicher besser beurteilen als Alekda selbst. Vielleicht könntest du ja auch die grobe Unterteilung machen, dass ihr physischer Wandel eher aus ihrer Sicht und ihr psychischer aus seiner geschildert wird...
Um zu wissen, ob sich das gut in der Handlung einbauen lässt etc., müsste ich deine Geschichte aber natürlich etwas besser kennen.

Ich hoffe, ich habe dir ein bisschen geholfen und das Ganze macht auch irgendeinen Sinn, wenn man nicht in meinen Kopf schauen kann.  ;)

Liebe Grüße,
Jakob

Offline Iphigenie

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Re: Co-Protagonist drängelt nach vorn
« Antwort #7 am: 22. Mai 2016, 21:03:04 »
Hallo, ihr!

Wenn Jakob den Thread nochmal aufscheucht, dann mache ich gleich nochmal mit.

Ich finde, man kann das ganze sogar ... relativ leicht zusammen fassen: Es geht doch darum, wer von den Charakteren mehr zu erzählen hat und was den Leser am meisten anspricht. Wenn "die Ich-Perspektive" nur Zuhause sitzt und nachdenkt, während die "Er-Perspektive" gerade durch die Wälder hetzt um ... sonst was zu tun, dann wäre es ja verschenkter Plot, wenn man bei der Ich-Person bleibt. Oder du stellst es um, was oftmals auch schnell gekünstelt wirken kann. Also wegen mir sehe ich keine Probleme, warum es nicht auch Er-/Sie-lastiger sein kann, solange Alekda nicht komplett aus dem Bild verschwindet ... :)

Ich hoffe, ich habe jetzt nicht nur das Gerede der anderen wiederholt!
Liebe Grüße,
Iffi
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Offline JohnGreenFan

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Re: Co-Protagonist drängelt nach vorn
« Antwort #8 am: 17. August 2016, 17:56:37 »
Das ist jetzt zwar schon ein bisschen her, aber ich geb trotzdem mal mein Körnchen Salz dazu (nicht wundern, das sagen die Franzosen statt Senf, und ich fahr bald nach Frankreich xD)
Ich dachte nämlich gerade, dass du ja auch teilweise Szenen aus beiden Perspektiven erzählen könntest. Zum Beispiel habe ich im Prolog meines (so gut wie sicher abgebrochenen) Romanprojekts aus der Er-Perspektive beschrieben, wie meine Prota als Kind mit ihren Freunden Verstecken gespielt hat. Und das erste Kapitel fängt dann irgendwie so an: "Mit angezogenen Knien hockte ich auf dem Fenstersims, starrte auf den Hof hinaus und dachte daran, wie ich früher dort tagelang mit meinen Freunden Verstecken gespielt hatte." Und dann kommt die Beschreibung nochmal so ähnlich, und ihre erwachsenen Gedanken dazu.
Bei dir wäre das dann denk ich mal ohne Zeitsprung, aber es könnte nach dem gleichen Prinzip funktionieren. Gedanken von zwei Personen zur gleichen Handlung. Wenn ich das in einem Buch gelesen hab, hat es mir immer sehr gut gefallen, die beiden Szenen passen einfach perfekt aneinander wie zwei Puzzleteile. :)
Ich hoffe, du kannst was damit anfangen, falls das Problem nicht sowieso schon längst gelöst. Das wäre natürlich am allerbesten xD

Liebe Grüße,
Fan
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Offline Writing_Chrissi

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Re: Co-Protagonist drängelt nach vorn
« Antwort #9 am: 31. August 2016, 12:13:34 »
Heyho,

Sagt mal, wieso habe ich diesen Thread nicht schon früher gesehen? :D
Ich weiß, dass ich es hier in mehreren Themen schon erwähnt habe, aber ich habe sogar zwei Kandidaten, die sich nach vorne gedrängelt haben und nun mehr Platz in der Handlung einnehmen, als ursprünglich geplant. Zu Anfang hatte ich mir gedacht, dass ich die Freundin (Sophia) der Person, um die sich die Geschichte eigentlich dreht, doch auch ab und an erzählen lassen könnte, damit etwas Abwechslung reinkommt und ich Lia (Protagonistin) auch mal als Außenstehende beobachten kann. Was jetzt dazu übergegangen ist, dass ich tatsächlich viel lieber aus Sophias Sicht schreibe und Lia immer weiter in den Hintergrund rückt. Und ich bin sogar so weit gegangen, noch eine dritte Perspektive einzubauen... Was mich zeitweise wirklich selbst verwirrt, weil ich aus Zoes Sicht nämlich die Er-/Sie- Perspektive verwende und Sophia und Lia die Ich-Perspektive benutzen.
An sich schreibe ich sehr gerne mit den drei unterschiedlichen Sichtweisen, allerdings hat es bei mir, wie oben erwähnt, dazu geführt, dass die eigentliche Haupterzählerin jetzt eher an letzter Stelle steht. Ich selbst finde das nicht allzu dramatisch, es stellt sich nur die Frage, inwiefern es Leser stören würde...

Aber an sich gebe ich Iffi Recht. Ich wechsele ebenfalls nur die Perspektiven, wenn mir bei einer nichts mehr einfällt und eine der beiden anderen etwas spannenderes erleben, zumal sie, was auch sehr hilfreich ist, zu Anfang erst einmal nichts miteinander zu tun haben.

Lg Chrissi
Nimm dir Zeit für deine Träume, bevor die Zeit dir deine Träume nimmt!

Offline Thiod

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Re: Co-Protagonist drängelt nach vorn
« Antwort #10 am: 01. September 2016, 11:23:19 »
Ich glaube, ein bisschen wird es immer eine Geschmackssache für den Leser sein. Ich erinnere mich an Eragon. Den ersten Band über begleitete man immer nur Eragon. Und im zweiten kam dann plötzlich Roran aus der Versenkung. Ich habe sehr lange gebraucht, um mit ihm warm zu werden und viele, die ich kenne haben immer rumgenölt, dass sie so schnell wie möglich wieder zu den Eragon-Teilen der Handlung wollten. (Nach meiner Meinung lag das Problem da aber nicht am Perspektivwechsel, sondern daran, dass Roran mit seinen Gary-Stue-Tendenzen  nicht halb so überzeugend war wie alle anderen Figuren).
Ich denke, wenn man anfängt, neue Handlungsträger neben der Hauptfigur einzuführen, fühlt der Leser sich oft einen Moment enttäuscht, aber wenn die neue Perspektive eine gute ist, vergisst er es schnell, weil er begeistert ist. Man darf den Protagonisten nur nicht mit jemandem ablösen, der weniger spannend als der Protagonist ist, aber das versteht sich vermutlich eh.

Viele Grüße,
Thiod.
Wissen ist Macht - Phantasie ist Freiheit