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Co-Protagonist drängelt nach vorn

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KaZuko:
Hallo ihr Lieben,

mir stellt sich seit ein paar Tagen ein Problem in den Weg, zu dem ich gerne ein paar Meinungen einholen würde. Es geht um meine zwei aktuellen Protagonisten, Alekda und Matts - nun, genauer gesagt geht es vor allem um Matts.

Die Sachlage ist folgende: Alekda ist die tragende Protagonistin in diesem Manuskript, um deren Werdegang als Gestaltwandlerin sich alles dreht. Sie hat deshalb die Ich-Perspektive bekommen. Zum einen, weil ich die auch schon im ersten Band für die Hauptfigur benutzt habe, und zum anderen, weil es aus meiner Sicht besser passt. (Alekdas Persönlichkeit spaltet sich nämlich im Lauf der Handlung auf, was eine Sie-Perspektive sehr schwer machen würde.)
Ihr Co-Protagonist ist Matts, ihr Therapeut, aus dessen Er-Perspektive hier und da erzählt wird.

Nun, dieses 'hier und da' ist während der letzten Abschnitte ein wenig mehr geworden. Mit ist aufgefallen, dass mir die Passagen aus Matts' Sicht leichter fallen. Außerdem kommen mir sehr viele Szenen durch seine Augen viel lebendiger und emotionaler vor, einfach weil er auf vieles eine hinterfragendere Sichtweise als Alekda hat. Auch bei Situationen, die für sie eine tragendere Rolle spielen. Wenn er sie in einer solchen Situation beobachtet, kommt es mir spannender vor, als Alekda sie selbst durchleben zu lassen. Das ist vor allem in der Szene, in der ich gerade stecke, irgendwie doof.

Meine konkrete Frage ist jetzt also:
1. Ist es bei einem Manuskript mit einer Ich- und einer Er-Perspektive unbedingt notwendig, dass die Ich-Perspektive den größten Teil einnimmt?
2. Ist es vertretbar, bedeutende Momente eines Charakters aus den Augen eines anderen zu schildern und erst im Nachhinein in den eigentlichen Charakter zu schlüpfen, um auf die Folgen einzugehen?

Was meint ihr dazu? Ich bin gespannt. :)

Liebe Grüße,
Kazu

Darkness Claw:
Hi Kazu,

ich kann dir zwar aus eigener Erfahrung keine Ratschläge geben, da ich bisher noch nichts längeres aus der Ich-Perspektive geschrieben habe, doch ich hoffe, ich kann dir trotzdem ein wenig weiterhelfen.

Als aller erstes muss ich sagen, finde ich diese Entwicklung, dass Matts mehr Seiten als der Protagonist füllt, nicht unbedingt schlimm. Wenn ich es richtig verstanden habe, so sind die Szenen, in denen er der Protagonist ist, ja nach wie vor vor allem Momente, während denen er mit Alekda interargiert. Dementsprechend wird das Rampenlicht ja nicht von der eigentlichen Protagonistin genommen, sondern lediglich von einer anderen, subjektiven Perspektive betrachtet, der ihre Handlungen eben aus seiner Sicht kommentiert.
Auch wenn sich das bei dir eher ungewollt eingeschlichen hat, kann man damit ja auch bewusst spielen und dabei die Erzählweise bereichern.
Genauso denke ich auch, dass es nicht etwa die Spannung aus den Szenen nimmt, wenn sie aus Matts Perspektive geschrieben sind und erst anschließend aus Alekdas Sicht geschildert wird, ganz im Gegenteil, es kann mit Sicherheit ein hervorragendes Stilmittel sein.

Auf der anderen Seite solltest du allerdings aufpassen, dass du Alekdas Geschichte dabei nicht aus der Hand gibst. Sollte das Zusammenspiel dieser beiden Charaktere sich durch das gesamte Manuskript ziehen, könnte es eventuell antiklimatisch sein, wenn Alekda über die ganze Zeit hinweg Matts untergeordnet ist. Wenn Matts nicht die ganze Zeit vorkommen soll, sehe ich da kein Problem, doch sollte er es doch, so müsste Alekda sich mit Kurs auf den Höhepunkt doch etwas Raum verschaffen können.
Und natürlich sollte der Leser nicht anfangen, sich von Matts zu sehr ablenken zu lassen und dabei Alekda aus den Augen zu verlieren. Wenn du jedoch nicht ständig von Matts' Leben außerhalb seiner Arbeit mit Alekda erzählst und ihm, so blöd das klingen magst, nicht zu viel charakterliche Tiefe im Vergleich zu Alekda gibst, sehe ich kein Problem, wenn seine Erzählperspektive häufiger eingesetzt wird.

Ich hoffe, ich konnte dir ein wenig weiterhelfen.  :)

Viele Grüße,
Claw

KaZuko:
Claw, das ist eine wirklich tolle Antwort. Vor allem im zweiten größeren Absatz steckt so viel Wahrheit und Logik ... Wenn man sowas liest, fragt man sich direkt, warum man selbst nicht darauf gekommen ist? Was du sagst, ist wirklich clever! Danke! Ich werde es definitiv berücksichtigen! :)

Liebe Grüße,
Kazu

Thiod:
So wie du es beschrieben hast, klingt es, als wenn die Gründe für Matts-Perspektiv sinnvoll und bereichernd sind, daher denke ich, dass es ganz legitim ist, Alekta häufiger aus seiner Sicht zu beschreiben. Außenperspektiven können oft sehr stark sein. Es könnte höchstens seltsam wirken, wenn sich das Gewicht der beiden Erzählperspektiven innerhalb des Romanverlaufs zu stark verschiebt - dann würde man sich als Leser wohl anfangen zu wundern, weshalb am Anfang alles Ich-Erzähler ist und am Ende Er-Erzähler, man könnte da dann unter Umständen Bedeutungen in den Perspektivwechsel deuten, die überinterpretiert wären. Aber so lange du im Verlauf der Geschichte die Anteile nicht ZU stark verschiebst, sollte es kein Problem sein, denke ich.

Habe jetzt vll. nicht so viel beigetragen, dass Claw nicht auch irgendwie auch schon ausgedrückt hat, sorry.

Viele Grüße,
Thiod.

Darkness Claw:
Freut mich wirklich sehr, dass dir meine Antwort geholfen hat, Kazu.  :) Ich hatte schon befürchtet, ich wäre nicht so ganz auf den Punkt gekommen.

Die Sache mit dem Gewicht der Erzählperspektiven, die Thiod noch hinzugefügt hat, halte ich auch für wichtig. Wenn Matts in der Mitte des Manuskripts bereits jedes zweite statt jedes sechste Kapitel für sich beanspruchen würde, könnte das durchaus verwirrend auf den Leser wirken und ihn in eine falsche Richtung führen.

Viele Grüße,
Claw

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