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Autor Thema: [Buchberufe] Wie läuft ein Lektorat ab?  (Gelesen 12261 mal)

Offline Maja

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[Buchberufe] Wie läuft ein Lektorat ab?
« am: 18. Januar 2014, 03:36:20 »
Da ich im letzten Jahr neben den Lektoraten für meine beiden Bücher kaum noch zu etwas anderem gekommen bin, namentlich zu diesem Forum, bekommt ihr jetzt zum Ausgleich einen Bericht aus erster Hand über die Entwicklung, die ein Buch im Lektorat durchmacht. Das heißt allerdings nicht, dass es in allen Verlagen gleich zugeht - ich habe jetzt mit zwei verschiedenen Verlagen zwei sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht. An dieser Stelle will ich erzählen, wie das bei meinem ersten Buch gelaufen ist, denn bei meinem zweiten war ich ja schon ein alter Hase und musste deutlich weniger Fragen stellen, habe also auch deutlich weniger erklärt bekommen.

In meinem Fall war es so, dass der Verlag ein Buch von mir gekauft hat, das soweit schon fertig war. Bei den meisten Debütromanen läuft das so, denn warum sollte ein Verlag ein Buch kaufen von einem Autor, von dem niemand weiß, wie er einen Plot aufbaut und zuende bringt? Später, wenn das Buch ein Erfolg ist und der Verlag einen Folgevertrag machen möchte, wird der oft nur auf Basis eines Konzepts vergeben und das Buch dann in enger Zusammenarbeit mit dem Lektor überhaupt erst geschrieben. Aber hier hatte ich einen schönen, dicken Roman vorzuweisen. Er war direkt nach seinem Entstehen schon einmal schnell überarbeitet worden, aber in erster Linie, um die Rechtschreibfehler auszumerzen - es musste sehr schnell gehen, damit das Buch noch auf die Frankfurter Buchmesse mitkommen konnte, wo es verschiedenen Lektoren vorgestellt werden sollte. Dass es dann erst anderthalb Jahre später verkauft worden ist, und an einen ganz anderen Verlag, hat daran nichts mehr geändert. Mein Buch war also eine Rohfassung, und in der Form hätte sie besser nicht auf den Markt kommen müssen. An dieser Stelle kommen die Lektoren ins Spiel.

Als erstes habe ich mit dem Programmleiter zusammengearbeitet. Er ist derjenige, der entschieden hat, dass der Verlag mein Buch veröffentlichen will, und ich hatte Glück, dass ich direkt am Anfang an einen sehr erfahrenen Lektor geraten bin, von dem ich vorher nur Gutes gehört hatte und bei dem ich unbedingt mal etwas veröffentlichen wollte - jetzt also meinen Erstling. Ich habe mich als sehr aufgeregte und unsichere Debütantin zu erkennen gegeben - obwohl ich viel Erfahrung aus dem Buchwesen mitbringe und auch schon selbst in einem Verlag gearbeitet hatte, wusste ich noch nicht, wie es im Lektorat zugeht, und ich dachte, wenn ich mich schon wie ein Vollpfosten anstelle, soll mein Lektor ruhig hoffen, dass es beim zweiten Buch viel besser ablaufen wird. Er hatte aber viel Geduld mit mir und hat mir auch das Gefühl gegeben, dass er wirklich an mir und meinem Buch interessiert ist. Wir haben Mails hin und her geschickt und über mögliche Änderungen an dem Buch gesprochen - nicht über einzelne Formulierungen, sondern über das, was man am Inhalt noch machen kann.

Er hatte ein paar Vorschläge, wie man den Charakter der Heldin besser herausarbeiten kann, idem die Leser mehr über ihre Hintergrundgeschichte erfahren, und wie ich ein wiederkehrendes Motiv - meine Heldin wäre gern Seiltänzerin geworden und balanciert immer auf dem Treppengeländer - mit einem Sinn versehen und am Ende im dramatischen Finale auflösen kann. Vor allem aber haben wir den Schluss geändert. Ich hatte dem Buch in erster Instanz ein Ende verpasst, das für mich eigentlich nur zweite Wahl war, von dem meine Agentin aber meinte, dass es sich vermutlich besser verkaufen würde als meine Wunschafassung - und sie hatte damals schon vorgeschlagen, dass ich im Lektorat immer noch versuchen könnte, das Ende wieder etwas zu verschärfen. Es stellte sich heraus, dass ich mit meinem Wunschende bei meinem Lektor offene Türen eingerannt habe, obwohl wir beide wussten, dass nicht jeder Leser dieses Ende so toll finden würde wie wir. Aber das war es uns wert. Er hat auch ein paar Dinge vorgeschlagen, die ich dann abgelehnt habe - so hätte er gerne meine Heldin ein paar Jahre älter gemacht, was aber für mich nicht funktioniert hätte, weil sie schon so zu den Ältesten im Waisenhaus gehört und ein oder zwei Jahre später statt dessen in der Fabrik oder als Hausmädchen gearbeitet hätte.

Als Autor muss man sich keine Änderungen aufdrücken lassen, die man nicht tragen möchte, man wird nicht gezwungen, wie man sein Buch gefälligst umzuschreiben hat. Theoretisch kann man also zu allem, was der Lektor sagt, "Nein" sagen, aber das ist auch nicht der richtige Weg. Das Buch soll schließlich perfektioniert werden, und so stolz man als Autor auf seine Rohfassung ist, es geht immer noch besser. Wenn der Lektor einem etwas vorschlägt, was man sich selbst in der Geschichte nicht vorstellen kann, hilft es, das anzusprechen und am besten direkt einen Alternativvorschlag zu haben, bis man am Ende einen Mittelweg hat, mit dem beide glücklich sind. Wenn man gar keinen Kompromiss findet, kann man sich an der Stelle als Autor auch durchsetzen, dafür kann man dann an einer anderen Stelle einlenken - am Ende ist es der Autor, der für das Buch vor den Lesern und Kritikern den Kopf hinhält, und darum sollte das Buch auch so sein, dass sich der Autor immer noch damit identifizieren kann.

Mit einer Liste von Punkten, die ich ändern oder ergänzten wollte, habe ich mich dann an die Überarbeitung gemacht. Dafür habe ich mir erst einmal das ganze Buch ausgedruckt und bin es Satz durchgegangen, habe jede Formulierung auf die Goldwaage gelegt, weil ich dachte, es ist die letzte Gelegenheit, noch irgendetwas zu ändern und ja jede Formulierung perfekt sein musste, und das dann in meinem Ausdruck notiert. Ich habe das als Normmanuskript formatiert und hatte also viel Rand und große Zeilenabstände zum Vollschmieren - und die habe ich auch gebraucht. Danach habe ich die Änderungen in den PC übertragen und dabei dann auch das, was an neuen Szenen dazukommen sollte, geschrieben. Das Buch hatte 485 Normseiten, und ich habe ungefähr zwei Monate lang mit acht-Stunden-Tagen an der Überarbeitung gesessen. Da ich mich als Autorin selbständig gemacht habe, habe ich die Zeit ja, aber ich war sicher auch etwas übergründlich.

Danach hat mein Lektor meine Änderungen abgesegnet, und ich dachte, jetzt kommt noch eine Rechtschreibkorrektur, und ab geht's in die Produktion. Aber zwischen dem Lektorat und dem Korrektorat kommt noch ein weiterer Schritt: Die Redakteurin. Die hat das Buch dann wirlich Satz für Satz mit mir durchgekaut. Ich hatte ursprünglich gedacht, dass das auch vom Lektor gemacht wird, aber der hat letztlich gar keine Zeit dazu - der Verlag bringt ja nicht nur mein Buch heraus, sondern zwanzig im Monat, mit einem Team von zwei Lektoren, die dabei auch noch neue Manuskripte sichten und auswählen müssten, ist das nur mit externen Redakteuren zu schaffen, wenn man es gründlich machen will. Und meine Lektorin war sehr gründlich. Wir haben uns gut verstanden, aber über viele Formulierungen in den Haaren gelegen, weil ich einen sehr eigenen Satzbau habe und mich gerne etwas verschroben ausdrücke. Ihr wäre ein etwas glatterer Stil lieber gewesen, aber an der Stelle habe ich mich dann durchgesetzt, weil es mein Buch ist und ich dann auch möchte, dass es in meiner Sprache geschrieben ist. Sie hat sich dann aber darauf eingestellt und mir neue Formulierungen vorgeschlagen, die zum Stil passten. Außerdem hat sie die letzten Fehler ausgebügelt, die ich selbst nicht gefunden habe, zum Beispiel, dass meine Heldin sich erst in ihr Kleid kämpft, bevor sie das Haus erkundet, nur um eine Szene später wieder ihr Nachthemd zu tragen - Leser finden solche Fehler früher oder später, und mir ist lieber, dazu kommt es gar nicht erst. Ich bin ja immer noch eine Perfektionistin.

Wir haben zwar auch telefoniert, aber in erster Linie E-mails ausgetauscht und immer wieder unsere Word-Dokumente hin und hergeschickt. Sie hat mir ihre Änderungen direkt in den Text geschrieben - mit "Änderungen verfolgen" werden die dann alle farblich hervorgehoben, und ich konnte von Änderung zu Änderung springen und immer sagen "Annemhen" oder "Ablehnen", oder ich konnte ablehnen und die Stelle auf andere Art ändern. Alle meine Änderungen sind dann in einer anderen Farbe markiert worden, damit meine Lektorin sehen konnte, was ich geändert habe. Das hat sie dann mit ihren Anmerkungen versehen wieder zurückgeschickt, so dass es insgesamt dreimal hin und her ging, bis wir mit allem durch waren. Über die letzten Uneinigkeiten haben wir dann telefoniert, bis wir wirklich auf einer Linie waren - eine schwere Geburt, aber das war es mir wert. Die Redaktion hat nochmal gut drei Monate gedauert.

Am Ende haben die beiden Schritte des Lektorats fast länger gedauert, als das Buch zu schreiben, und es war für mich sehr anstrengend. Wenn ich einen Roman schreibe, ist alles im Fluss, und ich weiß, wenn mir etwas besseres einfällt, kann ich das jederzeit ändern. Aber im Lektorat ist dann auf einmal alles in Stein gemeißelt, und ich habe es mir sehr schwer gemacht und mir auch erst einmal sehr im Weg gestanden. Ich hoffe, dass ich mit dem Verlag weitere Bücher machen kann, und dann wünsche ich mir auch die gleiche Redakteurin - wir haben uns erst einmal zähmen müssen, aber beim zweiten Mal wissen wir, was wir aneinander haben, und ich muss nicht noch einer Redakteurin erklären, dass diese Formulierung nicht geändert werden darf, weil es ein Shakespearezitat ist, und jene vielleicht antiquiert, aber korrektes Deutsch, weil sie schon von den Gebrüdern Grimm verwendet wurde.

Und danach konnte ich mich zurücklehnen. Im Korrektorat musste ich nichts mehr tun, nur abwarten. Da werden dann wirklich nur noch die letzten Rechtschreibfehler, die mir, meiner Korrekturleserin, meiner Agentin, wieder mir, und meiner Redakteurin entgangen sind. Und wetten, sobald man das Buch in den Händen hält, ist das erste, was man findet, ein dicker Fehler. Das muss so. Aber tatsächlich ist am Ende ein Buch herausgekommen, mit dem ich sehr zufrieden bin und das ich auch lesen kann, ohne dauernd zu denken "Mensch, das hättest du auch besser sagen können". Ab dem Moment, wo man es einmal freigegeben hat, ist es wie wenn das Flugzeug einmal in der Luft ist - kein Grund mehr zum Bibbern, jetzt kann man ohnehin nichts mehr ändern.

Nicht alle Lektorate laufen so ausführlich und gründlich ab wie mein erstes, aber ich bin wirklich froh, dass ich gerade bei meinem Debüt gelernt habe, wie es im Optimalfall ablaufen soll.
Worte sind Luft. Aber die Luft wird zum Wind und macht die Schiffe segeln.
Arthur Koestler

ImaginaryFriend

  • Gast
Re: [Buchberufe] Wie läuft ein Lektorat ab?
« Antwort #1 am: 20. Januar 2014, 11:39:33 »
Danke für diesen ausführlichen Erfahrungsbericht Maja!
Auch wenn man es sich ein bisschen vorstellen kann wie sowas abläuft, ist es doch nochmal was ganz anderes es von jemandem geschildert zu bekommen, der den Prozess selbst durchlaufen hat.
Und einige Sachen waren mir auch neu. Die Sache mit der Redakteurin zB wusste ich nicht. Ich dachte bisher es gäbe nur einen Lektor, der sich um alles kümmert
Auf jeden Fall ist es toll von den Erfahrungen veröffentlichter Autoren zu hören, vor allem
wenn man sich selbst irgendwann auf Verlagssuche machen will. :)

LG
Toni

Phantasticus

  • Gast
Re: [Buchberufe] Wie läuft ein Lektorat ab?
« Antwort #2 am: 29. August 2014, 14:44:54 »
Wirklich interessanter Erfahrungsbericht, ich durchlaufe momentan eine ähnliche Phase mit meiner ersten Veröffentlichung. Erhalte dabei jedoch deutlich weniger Unterstützung. Zum Beispiel wird mir das Lektorat zwar durch ein Förderprojekt gezahlt, jedoch musste ich mich um alles selbst kümmern. Habe also mehrere Lektoratsagenturen miteinander verglichen und mich anschließend für Textlove entschieden.

Im Nachhinein hat sich dies als die absolut richtige Entscheidung erwiesen, dort erfahre ich genau die Unterstützung, die mir von der Seite des Verlags fehlt. Ich erhalte inhaltliche Hilfestellung, kann bei aufkommenden Problemen mit dem Lektor diskutieren und trotz meines jungen Alters wird meine Meinung ernst genommen. Außerdem erhalte ich Ratschläge um meinen Schreibstil zu verbessern und Änderungsvorschläge für problematische Stellen.

Ich kann diese Agentur anderen jungen Autoren nur empfehlen!


Offline lamarie

  • Oberstufe
  • ***
  • Schreibverrückt & lesesüchtig.
Re: [Buchberufe] Wie läuft ein Lektorat ab?
« Antwort #3 am: 30. August 2014, 16:38:50 »
Lieber Phantasticus,

danke für deinen Erfahrungsbericht!

Ich bin da gerade etwas skeptisch - weil es nicht so sein sollte, dass ein Autor ein Lektorat bezahlen muss. Ein Autor sollte niemals irgendwelche Kosten für eine Veröffentlichung tragen müssen. Manche Autoren entscheiden sich dazu, trotzdem vor Vertragsabschluss für ein Lektorat zu bezahlen, um bei einem Verlag bessere Chancen zu haben, aber nach Vertragsabschluss sollten alle Kosten bei dem Verlag liegen - und ein guter Verlag sorgt auch für ein gutes Lektorat.

Liebe Grüße,
Marie

MartinBauer

  • Gast
Re: [Buchberufe] Wie läuft ein Lektorat ab?
« Antwort #4 am: 22. Februar 2019, 02:16:16 »
Interessante Rezension.